Heute: Laura Gersch CFO Allianz Versicherungs-AG | Young Global Leader des World Economic Forum
Learning 1: Unterschiedliche Perspektiven innerhalb eines Teams sind wichtig. Statt klassischer Frauenquote braucht es eine Diversitätsquote, zum Beispiel nach Geschlecht, Internationalität oder Alter.
Learning 2: Als Führungspersönlichkeit müssen wir ein sicheres Umfeld schaffen, in dem Mitarbeiter sich trauen, auch dem Chef gegenüber kritisch zu bleiben. Zu viele „Mini-Me´s“ im Team sollte man als Führungskraft vermeiden.
Learning 3: Ich empfehle „Kreativ-Zeit“ für freies Denken, um sich Zeit für Themen zu nehmen, die man setzen möchte. Diese Zeiten unbedingt im Terminkalender fest einplanen, sonst finden sie nicht statt.
Jule Gölsdorf: Sie sind mit Mitte 30 in den Vorstand der Allianz geholt worden, das ist für so ein vergleichsweise junges Alter eher ungewöhnlich, wieviel Glück gehörte dazu und wieviel war geplant?
Laura Gersch: Geplant war das sicher nicht, im Studium hatte ich nichts mit Versicherungen zu tun, aber es war auch nicht nur Glück. Es war schon ein Karriereweg, der mich dahin geführt hat. Ich habe sehr früh, mit 23, angefangen zu arbeiten, da habe ich schon Berufserfahrung mitgebracht, als ich mit 36 in den Vorstand kam. Und ich hatte immer Freude an dem, was ich tat und immer eine große Neugier. Diese Eigenschaften gepaart mit Disziplin haben mich in die Lage versetzt, gefragt zu werden. Was ich immer gemacht habe: Wenn man mir etwas zugetraut hat, dann habe ich – wenn ich Lust auf die Rolle hatte – auch ja gesagt! Aber klar gibt es auch die Komponenten Glück und Zufall, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
JG: Sie hatten keine Zweifel, diesen Job zuzusagen?
LG: Nein, gezweifelt habe ich nicht. Aber ich fand es schon herausfordernd, weil die Lebensversicherung ein Bereich war, in dem ich noch nicht gearbeitet hatte. Das war ein großer Schritt. Ich wusste aber, dass der CEO mich wollte und dass ich mit ihm gut arbeiten kann. Und grundsätzlich bin ich in der Lage, mich schnell in Dinge einzuarbeiten und fand es klasse, mal eine große PnL-Verantwortung (Gewinn und Verlust) zu übernehmen.
JG: Es sind immer noch nicht so viele Frauen in Führungspositionen, wie Männer. Woran liegt das?
LG: Es sind verschiedene Aspekte: Auf der einen Seite ist es oft der zeitliche Zusammenfall von Familienplanung und dem Moment, in dem man klassischerweise eine erste oder zweite Führungsaufgabe übernimmt. Dann ist es in Deutschland gesellschaftlich schon noch so, dass die Erwartungen an Frauen, sehr präsent Mutter zu sein, hoch sind. Und wenn beide Partner Vollzeit arbeiten, ist es schwierig, weil dann doch die Frauen eher zurückstecken. Manchmal trauen sich Frauen auch weniger zu, das ist sicher nicht immer der Grund, aber zu springen, wenn man gefragt wird, das machen Männer glaube ich sehr viel intuitiver.
JG: Werden Sie denn noch oft gefragt: Ach Sie arbeiten so viel, wer ist denn bei den Kindern?
LG: Privat schon, im beruflichen Umfeld überhaupt nicht! Wir sind der Dax-Konzern mit der höchsten Frauenquote im Konzernvorstand, das ist hier gelebter und gewollter Alltag, da hat keiner in Frage gestellt, dass ich das hinkriege. Privat höre ich die Frage immer wieder. Ich sage dann: Kein Kind kommt auf die Welt und denkt, dass die Mutter Vollzeit zuhause bleiben muss und der Vater Vollzeit arbeitet. Und solange das für meine Kinder okay ist, geht das. Kinder sind ja auch happy, wenn die Eltern happy sind und ich glaube, ich bin eine sehr viel bessere Mutter, wenn ich arbeite. Aber es wird natürlich anspruchsvoller, je älter die Kinder werden, weil sie mit der Erwartungshaltung aus ihrem Umfeld konfrontiert werden und merken, dass es ungewöhnlich ist, dass ich nicht nachmittags zuhause bin, wie andere Mütter. Ich sage dann, dass ich gerne arbeite und dass das in anderen Ländern ganz normal ist, dass Männer UND Frauen arbeiten. Das ist nach wie vor ein Mindset-Thema in Deutschland und eigentlich können wir es uns gesellschaftspolitisch gar nicht leisten, dass so viele Frauen Teilzeit oder gar nicht arbeiten, obwohl sie sehr gut ausgebildet sind.
JG: Weibliche Vorstände werfen den Job häufiger wieder hin, liegt das am Mindset und an der Familienplanung oder daran, dass die Vorstände zu männerdominiert sind und Frauen sich alleine fühlen?
LG: Ich glaube nicht, dass es an der Familienplanung liegt. Es ist aber tatsächlich so, dass Frauen eine kürzere Verweildauer in Vorständen haben und ich glaube, das liegt auch daran, dass Frauen oft von extern geholt werden, auch um Quoten zu erfüllen. Ich stelle es mir schwer vor, von außen in einen Vorstand reinzukommen, weil man nicht die Basis und ein Netzwerk im Unternehmen hat. Sich alleine zu fühlen ist sicher auch ein Thema. Es braucht eine kritische Masse und die liegt mal mindestens bei 30 Prozent. Wenn man die einzige Frau ist, dann heißt es immer – das ist die Frauenmeinung. Bei einer zweiten Frau wird das schon deutlich weniger und bei einer dritten Frau, zum Beispiel bei einem Gremium von 8 bis 10 Personen, ist es total egal, da ist das Frau-Sein kein Thema mehr.
JG: Das heißt, Sie unterstützen eine Frauenquote?
LG: Als ich 20 war, habe ich gedacht, es braucht keine Frauenquote, da war ich nie an eine gläserne Decke gestoßen. Heute glaube ich, es braucht so lange eine Quote, bis es normal ist. Die Frauen-Quote zwingt eben auch, zu suchen. Man hat ja gemerkt, als die Frauenquoten in den Aufsichtsräten eingeführt wurden, hat man die Frauen auf einmal gefunden. Und die machen auch einen guten Job! Auf einmal ist es kein Problem mehr, die 30 Prozent zu besetzen. Aber eigentlich geht es mir gar nicht um die Frauenquote, sondern vielmehr um eine Diversitätsquote, das können Frauen sein, religiöse Hintergründe, das Alter ist auch wichtig – es ist gut, jüngere und ältere Menschen gemeinsam in Gremien sitzen zu haben, um unterschiedliche Perspektiven an den Tisch zu bringen. Und in einem globalen Konzern wie der Allianz ist natürlich auch der internationale Hintergrund wichtig.
JG: Wenn Sie Ihren persönlichen Führungsstil beschreiben würden: Haben Sie etwas explizit Weibliches?
LG: Die Frage ist: Was ist tatsächlich weiblich? Ich bin sicher empathisch, das schreibt man ja eher Frauen zu, ich bin auf der einen Seite sehr analytisch, aber ich habe schon ein starkes Gespür dafür, was zwischen den Zeilen steht und was für Stimmungen im Raum sind. Ich glaube, das ist hilfreich. Es gibt aber natürlich auch Männer, die diese Eigenschaften besitzen. Und was mir auch wichtig ist, das würde ich aber nicht als weiblich bezeichnen, dass wir die Stärken bestmöglich einsetzen, also nicht immer darauf schauen, wo hat jemand eine Schwäche, wo kann man besser werden, sondern noch viel besser ist es, sich darauf zu fokussieren, was die Stärken als Team sind, wie jeder bestmöglich die eigenen Stärken einbringen kann, um insgesamt zum besten Ergebnis zu kommen.
JG: Hat sich Führung verändert? Mein Eindruck: Früher waren Unternehmen hierarchischer organisiert – und es gab natürlich auch noch die cholerischen Führungspersönlichkeiten mit dem sehr autoritären, launischen Stil mit viel Druck von oben?
LG: Ja, das hat sich verändert, ich habe in meinen ersten Tagen als ich noch als Beraterin gearbeitet habe, andere Menschen in den Vorständen gesehen, als heute. Dieser unangenehme Führungsstil ist überhaupt nicht mehr zeitgemäß, auch wenn es immer noch ein paar dieser Persönlichkeiten gibt. Ich glaube, wir brauchen keine Hierarchien im Denken, auch ein Praktikant kann eine gute Idee haben. Wir als Führungsteam müssen den Rahmen, die Sicherheit bieten, dass neue Dinge ausprobiert werden dürfen und dass Mitarbeiter selbst Verantwortung übernehmen können, auch wenn dann mal Fehler passieren. Trotzdem muss eine Führungspersönlichkeit zwischendurch entscheiden und sagen: Wir gehen jetzt nach links oder rechts. Es herrscht also nicht völlige Freiheit, der Vorstand gibt den Rahmen und die Vision vor, dann kann man Selbständigkeit auch in die Teams geben.
JG: Eine Gefahr als Führungsperson: Menschen sagen, was man hören möchte. Wie versuchen Sie, Ihrem Team das Gefühl zu geben, auch kritisch sein zu dürfen?
LG: Ich habe ja eine Weile unser CEO-Office geleitet und daher kenne ich das: Es gibt diese zwei Kategorien von Menschen, die einen, die immer das unterstützen, was der CEO sagt und die anderen wenigen, die sich auch trauen, zu widersprechen und zu challengen. Es ist so wichtig, dass es letztere gibt! Ich habe gelernt, dass man ein Umfeld schaffen muss, in dem sich die Mitarbeiter trauen, ihre Meinung zu sagen, auch wenn sie von der Meinung des Chefs abweicht. Als Führungskraft sollte man zu viele „Mini-Me´s“ vermeiden! Man kann sich natürlich Leute holen, die immer so entscheiden, wie man selbst, das ist super entspannt und praktisch – kurzfristig gedacht. Ein paar davon sind auch in Ordnung, aber es gibt auch Mitarbeiter, da weiß man von Anfang an: Das wird anstrengend – und genau deshalb sind sie wichtig.
JG: Als Führungsperson muss man auch unangenehme Entscheidungen treffen. Wie schafft man das?
LG: Das kann man lernen! Dabei sind Erfahrung und Intuition wichtige Punkte. Bei kritischen Entscheidungen muss man sich immer fragen, was passiert, wenn man die Entscheidung nicht trifft. Wenn man sich zum Beispiel von einem Mitarbeiter trennen muss und das wird ein extrem schwieriges Gespräch, dann führe ich doch lieber dieses eine kritische Gespräch, natürlich bestmöglich für mein Gegenüber, als dass die Person bleibt und das ganze Team leidet. Wenn einem diese Art der Konfrontation schwerfällt, ist es natürlich wichtig, sich gut darauf vorzubereiten. Eine klare Sprache hilft immer und auch, sich in die andere Person hineinzuversetzen.
JG: In Ihrem Job hat man viele Termine, die Tage sind extrem voll. Wie schaffen Sie es, sich kreativen Freiraum zu nehmen?
LG: Das ist nicht einfach und wenn man Kreativzeit nicht einplant, wird sie nicht stattfinden, dann ist der Kalender voll! Da braucht es ein gutes Zeitmanagement und eine klare Priorisierung. Ganz wichtig ist mir, dass ich mindestens einmal in der Woche einen „Denkslot“ habe. In der Regel ist das bei mir der Mittwochvormittag. Klappt das in 52 Wochen? Nein! Aber in gut 40 Wochen? Ja! Da reicht auch keine halbe Stunde, denn man muss ja erstmal in das freie Denken reinkommen. Ich brauche da eher drei Stunden und die habe ich regelmäßig in meinem Kalender und ich kämpfe sehr hart dafür, dass das so bleibt! Wenn man sich diese Zeit nicht nimmt, ist man ja nur noch Getriebene. In meinem Job sollte man auch selbst Themen setzen und dafür braucht es Zeit.
JG: Unsere Schlussfrage: Was war in Ihrem Leben ein Geschenk, eine Strafe, ein Test?
LG: Geschenk ist völlig klar, das sind meine Kinder, in sie stecke ich die meiste mentale Energie, damit die beiden zu glücklichen Menschen werden, außerdem meine Familie und meine engen Freunde. Ich wüsste nichts, was ich als Strafe sehe, ich liebe mein Leben, natürlich gibt es Herausforderungen, aber ich bin sehr glücklich, dass ich Beruf und Familie vereinbaren kann. Aber die Kommentare so nach dem Motto „Ach, Sie sind die Mutter? Sind Sie auch mal da?“, wenn ich dann mal im Kindergarten auftauche, die sind schon ein Test. Da habe ich eine Zeit gebraucht, um da drüber zu stehen und mich auch nicht mehr zu verteidigen. Das mache ich nicht mehr. Es zeigt, dass wir da noch einen Weg zu gehen haben. Denn wenn es selbst mir, die ein hervorragendes Gesamt-Setup hat, mit viel Unterstützung von meinem Mann, meiner Mutter, der Familie, meinem Chef, schwerfällt, damit umzugehen, ist es kein Wunder, dass bei vielen anderen die Entscheidung fällt, nur Teilzeit zu arbeiten oder gar nicht. Aber es ist gut, dass wir darüber sprechen, damit es für andere Frauen einfacher wird, diesen Weg zu gehen!
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