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Jule Gölsdorf im Gespräch mit Frauen in Business und Politik über ihren persönlichen Weg weit nach oben #11 Irina Dell

Irina Dell Partner bei EY |Mutter & Triathletin|
Irina Dell arbeitet seit 15 Jahren bei EY

Heute: Irina Dell
Partner bei EY |Mutter & Triathletin| 

Learning 1: Es ist extrem wichtig, nach den Dingen, die man möchte, zu fragen. Wenn man nicht fragt, ist die Antwort immer nein!

Learning 2: Hinter erfolgreichen Karrierefrauen stecken auch ganz normale Menschen mit den gleichen Problemen. Wir kochen alle nur mit Wasser.

Learning 3: Wenn man international arbeitet, braucht es Fingerspitzengefühl, was die unterschiedlichen Traditionen angeht, sonst scheitert man wegen vermeintlicher Kleinigkeiten.

Jule Gölsdorf: Sie stehen um 5 Uhr früh auf und machen Yoga. Heute auch?

Irina Dell: Ja, das ist der ganz normale Modus, danach mache ich Emails und gegen 7 ist dann Zeit für meinen Sohn. Dann geht es weiter, entweder im Büro, im Außendienst oder zuhause. Aber die Tage fangen immer richtig früh an. Ich bin gerade in der nächsten Ironman-Vorbereitung, das ist die richtig intensive Phase mit zwei Trainings am Tag. Es schafft Ausgleich – man muss sich nur die Zeit nehmen! Für einen Ironman braucht man bis zu 15 Stunden die Woche und nach und nach lernt  man sich dafür den Raum zu schaffen. Mir hat es auch bei der Arbeit geholfen, den einen oder anderen Prozess zu optimieren.

JG: Das frühe Aufstehen, fällt das unter den berühmten 5AM-Club? Ist die Tageszeit wirklich eine Besondere oder geht es bei Ihnen einfach nicht anders, weil sie sonst nicht alles schaffen?  

ID: Es ist schon wichtig, dass man genügend Schlaf bekommt und ich habe viele Jahre beobachtet, wie viele Stunden ich brauche. Und das frühe Aufstehen bedeutet nicht, dass ich meinen Schlaf beschneide. Spätestens um 22 Uhr gehe ich ins Bett. Und was den Biorhythmus angeht funktioniere ich morgens auch besser. Ich bin ein early bird! Und es hat den Vorteil, dass ich morgens bei der Arbeit meine Ruhe habe, da kann ich die Themen vom Vorabend abarbeiten oder etwas für den Tag vorbereiten. Und es funktioniert auch im Team gut, wenn ich frühmorgens Anweisungen gebe. Abends kann ich mich nicht gut konzentrieren, das ist eher die Zeit für Sport oder ein Buch. Ich bin morgens einfach effizienter und schneller.

JG: Sie sind bei einer Wirtschaftsprüfung, das klingt auf den ersten Blick etwas trocken, ist es aber gar nicht?

ID: Es geht nicht nur um Zahlen, es ist eine Arbeit mit Menschen. Hinter jeder Bilanz stehen Menschen, die das Business voran treiben. Es geht viel um Kommunikation und darum, Psychologie zu verstehen. Mich hat die Vielfältigkeit überrascht. Als junger Assistent macht man erstmal alles, man sieht die ganze Bandbreite von Unternehmen – und über die Jahre entwickelt sich eine Fokussierung auf eine bestimmte Branche. Nach etwa 6 Jahren entscheidet sich dann, wo man bleiben will. Man ist Dienstleister, das heißt, man muss zuhören können, aber auch skeptisch sein, denn wir  eine Überwachungsfunktion haben. Das macht den Job interessant! Es war immer mein Traum, bei einem großen, internationalen Unternehmen zu arbeiten. Ich habe direkt nach meinem Studium bei EY angefangen. In der Managerfunktion hat sich dann irgendwann auch abgezeichnet, dass ich Partner werden möchte. Und aus heutiger Perspektive kann ich sagen, dass der Weg zum Partner hervorragend funktioniert hat.

JG: Sie sind eigentlich nur zum Studieren gekommen, Sie sind dann aber geblieben. Was hat Sie am Wirtschaftsstandort Deutschland gereizt? Oder war es das Privatleben?

ID: Beides! Im ersten Schritt waren es die Menschen und die Kultur. Mich hat es immer gereizt, die beiden Kulturen zu vereinen und das Beste aus Beidem zu nehmen. Mein Sohn genießt zum Beispiel die ganzen Feiertage aus beiden Kulturen, die Traditionen, und das ist ein Privileg.

JG: War Ihnen klar, dass Kind und Karriere auf jeden Fall gehen muss?

ID: Ja, es war selbstverständlich für mich. Ich bin auch so aufgewachsen. Es wurde nie in Frage gestellt, dass meine Mutter arbeitet, sie musste sich auch nicht zwischen Arbeiten und Familie entscheiden. Man schaut sich verschiedene Kinderbetreuungsmöglichkeiten an und kann raussuchen, was für die Familie am besten funktioniert. Ich hatte auch nie den Gedanken, dass ich mich entscheiden muss. Ich bin  ganz offen an dieses Thema rangegangen. Als ich meinen Sohn bekommen und in Elternzeit gegangen bin, war ich gleichzeitig in der WP-Examenszeit – das Kind war da kein Hindernis.

JG: Gab es dennoch Stolpersteine?

ID: Das ist doch eine Frage der Einstellung! Meine Einstellung ist, gib der Sache eine Chance und versuche, auf kreative Art und Weise eine Lösung zu finden. Für die Kinderbetreuung muss man Unterstützung annehmen können. Ich habe auch fast direkt nach der Elternzeit wieder Vollzeit gearbeitet und da ist es wichtig, bestimmte Abläufe umzustellen und delegieren zu lernen. Man muss vorher ein vertrauenswürdiges Team aufbauen, dann klappt das auch! Für mich war es eine gute Entscheidung, bei EY ein- und aufzusteigen. Ich denke, dass ist bei allen big four so, diese Unternehmen geben eine unglaubliche Flexibilität. Ich war damals eine der ersten, die Homeoffice gemacht haben, das war noch vor Corona. Das war nie ein Problem, ich habe einfach gefragt. Wenn man nicht fragt, ist die Antwort immer nein!

JG: Sie sagen über Ihre Karriere, dass viele Frauen Sie gefördert haben. Das fand ich überraschend.

ID: Das ist bei uns Unternehmenskultur, es wird nicht nach Quote gefördert, sondern es geht ums Talent und die Leistung, da spielt es keine Rolle, ob du Voll- oder Teilzeit arbeitest. Jetzt sind es immer mehr Frauen mit Kindern, die das als selbstverständlich erachten, dass beides geht. Es trauen sich auch immer mehr junge Frauen. Wir hatten damals auch schon interne Coachingprogramme, die ich bekommen habe. Aber auch da – ich habe andere Frauen gefragt: Wie machst du das? Was kann ich mir abgucken? Meine Kolleginnen waren da sehr transparent, haben mir gezeigt, welche Probleme sie hatten und wie sie mit Niederlagen umgegangen sind. Es haben doch alle die gleichen Probleme, die Kinder sind krank, man hat schlecht geschlafen, die kochen auch alle nur mit Wasser! Das hat mir geholfen, an mich selber zu glauben und mich weiter zu entwickeln.

JG: Gab es Niederlagen, an denen Sie gewachsen sind?

ID: Definitiv! Und ich glaube, hätte ich sie nicht gehabt, hätte ich mich nicht weiterentwickelt. Fehler zu machen, ist völlig normal. Man kann dann analysieren und schauen: Was nehme ich daraus mit? Es ging beispielsweise um den Umgang mit den Kollegen, Vertrauen, Kontrolle, Delegieren zu lernen. Wie gehe ich mit Konflikten um? Wie kann ich zwischenmenschlich etwas lernen? Wir haben Teams aus vielen verschiedenen Nationen, die Kulturen und Einstellungen unterscheiden sich und man braucht eine gewisse Sensitivität und auch das Feingefühl, damit das funktioniert. Wenn man sich aber genau mit diesen Unterschieden auseinandersetzt, funktionieren die Teams hervorragend, da verschiedene Kompetenzen aufeinander treffen und insgesamt ein enormer Mehrwert geschaffen wird. Und man kann sich beispielsweise bei einem japanischen Unternehmen als Mandat nicht genauso verhalten, wie bei einem amerikanischen. Da spielen Kleinigkeiten eine Rolle, zum Beispiel wie man eine Visitenkarte annimmt. Da kann man ganz schön auf die Nase fallen! Man entwickelt aber irgendwann ein Fingerspitzengefühl und dann macht es richtig Spaß!

JG: Sie geben Ihr Wissen auch an junge Frauen weiter?

ID: Ja, es gibt viele Programme bei uns. Insbesondere möchte ich auf zwei eingehen. Eines für Frauen, die nicht bei EY sind, die können sich in der Gründungsphase bewerben und bekommen für 12 Monate eine Partnerin zur Seite gestellt, die sie dann coacht. Bei diesem Programm engagiere ich mich seit fast vier Jahren als Coach und Mentor und mittlerweile auch als Sponsorin. Das funktioniert sehr gut, weil man auch Frauen aus anderen Branchen kennenlernt. Das sind Frauen, die schon ein Unternehmen haben und sich in einer bestimmten Entwicklungsphase befinden. Das zweite ist intern, das haben wir seit über 2 Jahren, da fördern wir junge Frauen in der Wirtschaftsprüfung, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Die bekommen auch eine Partnerin für ein Jahr als Mentor. Es geht um unterschiedliche Themen, Konfliktlösungen, Kommunikation, sich besser zu präsentieren, die Verbindung von Kind & Karriere. Und ich bin stolz von Anfang an als Mentoring und Sponsor bei diesem Programm dabei zu sein.

JG: Sind Frauen in der Gleichberechtigung mittlerweile weit genug gekommen? Wo stehen wir?

ID: Wir sind schon weit gekommen, gleichzeitig fehlt aber auch noch etwas. Im alltäglichen Leben wird man häufig vor Probleme wie eine mangelnde Kinderbetreuung gestellt. Es ist natürlich nicht schwarz oder weiß. In anderen Bereichen sind wir weiter, wir haben Frauen-Communities wie zum Beispiel Working Moms e.V., für die ich mich engagiere. Da habe ich tolle Frauen kennengelernt, die befördert und gefördert werden. Auch bei EY gibt es viel Unterstützung für Frauen, wenn sie in der Elternzeit sind oder aus der Elternzeit kommen, dass sie in dieser Zeit mit dem Unternehmen in Kontakt bleiben.

JG: Haben Frauen besondere Stärken oder kommt es unabhängig vom Geschlecht einfach auf´s Können an?

ID: Männer und Frauen sind verschieden, Männer können nun mal keine Kinder kriegen! Davon kommen wir nicht weg. Oder im Sport, rein physiologisch haben Männer und Frauenunterschiedliche Stärken und Schwächen und auch andere Herangehensweisen. Das ist auch nicht schlimm und wird immer so bleiben. Aber es ist natürlich wichtig, nach Leistung beurteilt zu werden und unabhängig vom Geschlecht die gleichen Möglichkeiten zu haben. Es gibt mittlerweile auch viele junge Kollegen, die in Teilzeit arbeiten wollen, da ändert sich das Mindset, die männlichen Kollegen werden nicht mehr schief angeschaut, wenn sie Elternzeit beantragen.

JG: Unsere Schlussfrage: Was war in deinem Leben ein Geschenk, eine Strafe, ein Test?

ID: Eine Strafe ist vielleicht mein Perfektionismus. Ich will bei allem, was ich mache, ein gewisses Niveau halten. Die Latte hängt da sehr, sehr hoch! Und ist manchmal schwer zu erreichen. Ich mache sehr gerne verrückte Sachen im Extremsport, das bereitet mir Freude und zeigt mir auf wo meine Grenzen sind. Ich habe mich auf sportliche Events eingelassen, zum Beispiel Ironman, für die ich lang trainiert habe, die waren definitiv ein Test für den Körper, für die Psyche, die ich auch überstanden habe. Wenn man mittendrin ist, fragt man sich, warum habe ich mich da angemeldet? Wenn man dann durch ist, ist es immer ein überwältigendes Gefühl und man fragt sich gleich, wo kann ich mich als nächstes anmelden? Ich war zum Beispiel in Istanbul und bin über Bosporus von Asien nach Europa geschwommen. Das war sehr herausfordernd, weil die Strömungen sehr stark sind. Aber mein fantastisches Gefühl am Finish werde ich nie vergessen. Ein Geschenk ist mein Sohn, alle Herausforderungen, alle Erfahrungen, die ich im Zusammenhang mit seiner Gesundheit gemacht habe. Das war ein Privileg alle diese Erfahrungen machen zu dürfen. Ich hätte nicht gedacht, dass etwas gleichzeitig so kompliziert, so schön und so schwer sein kann. Mutter zu sein, ist der schwierigste Job, den ich je hatte.

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