CAREER_LEARNINGS

Journalistin und Moderatorin Jule Gölsdorf im Gespräch mit Frauen in Business und Politik über ihren persönlichen Weg weit nach oben #05 Julia Prestia

Julia Prestia Portrait
Julia Prestia, Co-owner and general manager Tenuta di Roncolo | board member in companies in Italy
Julia Prestia Co-owner and general manager Tenuta di Roncolo | board member in companies in Italy

Learning 1: Aus einer anderen Branche in ein neues Feld zu kommen, hat viele Vorteile! Es erlaubt einen frischen Blick und macht es möglich, Dinge ganz anders zu hinterfragen.

Learning 2: Keine Angst vor steinigen Wegen! Das sind nur Phasen, die uns stärker machen. Sie lehren uns die Fähigkeit, nicht gleich aufzugeben, Durchhaltevermögen zu entwickeln.

Learning 3: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nach wie vor eine große Herausforderung, es braucht strukturelle Veränderungen. Wir sollten uns an den skandinavischen Ländern orientieren!

Jule Gölsdorf: Du warst lange in der Finanzbranche tätig, bist dann in eine komplett neue Branche gewechselt, hast ein Weingut restauriert, ein wirklich großer Schritt! War es ein Ausbruch aus dem allseits bekannten Hamsterrad?

Julia Prestia: Vielleicht schon ein bisschen. Ich bin ja ursprünglich aus Wien, habe Wirtschaft und Jura studiert, wollte aber schnell weg und bin nach London gegangen und habe dort fast 20 Jahre gelebt und gearbeitet, hauptsächlich in der Finanzbranche. Das waren sehr erfüllende, aber auch schon stressige Jobs. Dann habe ich meine Kinder bekommen – und zwar sehr knapp hintereinander – und die haben mir einen Moment der Auszeit gegeben, indem ich darüber nachgedacht habe, was ich eigentlich machen möchte. Ein eigenes Weingut war immer ein Traum, aber natürlich wusste ich nicht, ob so etwas realisierbar ist. Über gemeinsame Freunde hat sich dann tatsächlich die Chance ergeben, sich komplett umzuorientieren – mit einer Kombination aus Landwirtschaft und Hotellerie in einem nachhaltigen Kontext.

JG: Was hat dich denn an der Finanzbranche fasziniert und was hat dich dann gelangweilt und zu dem Wechsel gebracht?

JP: Ich glaube fest daran, dass es für jeden Moment im Leben etwas gibt, das richtig ist. Deshalb würde ich das auch genauso wieder machen! Ich bin immer jemand gewesen, der sich den steinigsten Weg ausgesucht hat, das hat mich fasziniert und das hat mir Spaß gemacht! Ich habe mich oft gelangweilt, deshalb habe ich Wirtschaft und Jura auch parallel studiert. Die Finanzbranche war herausfordernd und hat mir viel gebracht, ich habe da viel gelernt. Und das, was ich heute mache, da brauchte es auch eine sehr steile Lernkurve! Die technischen Aspekte der Weinkellerei hatte ich jetzt nicht parat. Aber ich lerne und arbeite einfach gern! Manchmal hat es ja auch Vorteile, als Außenseiter mit einem frischen Blick daherzukommen, mit Erfahrungen aus einem anderen Sektor. Das erlaubt es einem, Dinge neu zu sehen und anders zu hinterfragen.

JG: Du hast also gesagt, ich gehe jetzt aus meinem sicheren Job raus und betreibe künftig ein Weingut – wie hat dein Umfeld reagiert? Haben die dich für verrückt gehalten?

JP: Natürlich! Landwirtschaftliche Betriebe sind sehr anspruchsvoll, vor allem, wenn man sie wirtschaftlich nachhaltig betreiben will. Es ist ein Risiko, eine unglaubliche Herausforderung! Und das Ganze funktioniert nur, weil wir es als ganzheitliches Konzept sehen, das auch ein Hotel beinhaltet. Unsere Voreigentümer waren schon sehr visionär, haben sich auf eine hochwertige Nische in der Lambrusco-Welt fokussiert, auf dieser Basis haben wir das ausgebaut, Produkte dazu gebracht, wie zum Beispiel den Aceto Balsamico oder hochwertiges Olivenöl, wir haben auch eigene Bienen. Und das Hotel, das mittlerweile zu einem Luxushotel geworden ist, trägt das ganze wirtschaftlich mit – im Grunde ist es wie ein Puzzle – jedes Teil braucht das andere.

JG: Viele entscheiden sich für einen bestimmten Karriereweg, träumen insgeheim aber von einem anderen. Woher weiß man, welcher Weg der richtige ist?

JP: Es gibt kein richtig oder falsch! Ich bin sehr pragmatisch, manchmal ergeben sich Dinge einfach. Natürlich soll die Aufgabe erfüllend sein, aber es ist auch einfach ein Job, Arbeit gehört zum Leben dazu. Aber wenn es wirklich nicht passt, sollte man sich umorientieren. Unsere Generation hat doch keine Grenzen, niemand wird die Augenbrauen hochziehen, wenn man einen neuen Weg einschlägt, das war für die Generation unserer Eltern viel schwieriger.

JG: Wie viele Zweifel hattest du dennoch an der Entscheidung?

JP: Viele! Auch jetzt gibt es Momente, wo ich mir an den Kopf greife und mich frage, ob ich verrückt bin! Aber heute kann ich es leichter sehen, weil ich ja weiß, dass es funktioniert hat, das Ergebnis jahrelanger Arbeit bestätigt mich darin. Aber zwischendurch gab es schwierige Momente. Aber ich lasse mich nicht in den Strudel der Emotionen ziehen, ich sehe alles immer relativ, es geht um die Perspektive, die man hat. Man hat immer Herausforderungen, es passiert oft etwas, das man sich anders vorgestellt hat und dann muss man sehen, was man draus macht.

JG: Wie viel Selbstverwirklichung braucht man im Job?

JP: Es hilft schon, wenn einem der Job Spaß macht, aber ich mache es nicht wegen der Bestätigung. Ich habe mich einfach in diese Region, in die Menschen verliebt! Das ist eine bescheidene, hart arbeitende, beeindruckende Firmenkultur, sehr sympathisch. Ich würde mich freuen, wenn ich dort etwas erschaffe, das bleibt, ein Fixpunkt in der Gesellschaft dort.

JG: Du arbeitest mit deinem Mann zusammen, ihr seid also nicht nur eine Familie, sondern auch Geschäftspartner. Wie funktioniert das?

JP: Ich habe gedacht, dass es schwieriger werden würde, aber es hat sich gar nicht als Problem dargestellt. Wir haben die Arbeitsgebiete aber auch klar getrennt, das hilft enorm. Aber wir haben die gleiche Vision! Daher treffen wir die großen Entscheidungen natürlich gemeinsam.

JG: Netzwerke sind ein großes Thema – wie wichtig ist das in deiner Branche?

JP: Ich war nie so ein Netzwerktyp muss ich gestehen. Ich bin in einigen Netzwerken dabei, zum Beispiel Rotary, die nicht primär auf den Beruf ausgerichtet sind, aber sie geben interessante Möglichkeiten, sich auszutauschen, Leute kennenzulernen und Bekanntschaften zu pflegen. Das ist in jeder Branche relevant. Mit meinem Branchenwechsel musste ich natürlich erstmal neue Bekanntschaften machen, neue Partner kennenlernen.

JG: Rückblickend betrachtet, was ist das Schönste an deinem Berufswechsel?

JP: Egal, ob jemand einen Wein bei uns kauft, für einen Aperitivo vorbeikommt oder für einen kompletten Italienurlaub zu Gast ist: Wenn jemand zum ersten Mal bei uns ist und einen Aha-Effekt hat, sich einfach wohlfühlt, das ist das schönste Kompliment! Wir bekommen eine wahnsinnig gute Resonanz auf das Hotel, sind gerade Teil der Small Luxury Hotels geworden, schneller, als wir gedacht haben! Wir haben einen stillen, entspannten Luxus geschaffen, der nachhaltig ist. Der Luxus steckt in der Natur, in der Privatsphäre – und das auf einem sehr hohen Niveau, das kommt sehr gut an.

JG: Du hast in jedem Fall eine beeindruckende Karriere gemacht. Was würdest du jungen Frauen für ihren Weg empfehlen?

JP: Es ist nach wie vor eine echte Herausforderung für Frauen, Familie mit Arbeit zu verbinden. Es ist traurig, dass Arbeit bei uns logistisch immer noch nicht so organisiert ist, dass Paare Familie und Beruf einfach unter einen Hut bekommen. Wenn ich eine große Firma hätte, würde ich als erstes einen Betriebskindergarten einrichten! Die skandinavischen Länder sind ein gutes Beispiel dafür, wie es gehen kann. Daran sollten wir uns orientieren, um strukturelle Probleme zu verringern.
Außerdem glaube ich, dass junge Frauen keine Angst vor Stolpersteinen haben sollten. Diese machen uns stärker, auch wenn sie in dem Moment lästig sind. Außerdem hilft es, die älteren Generationen anzuschauen und von ihnen zu lernen, zum Beispiel das Durchhaltevermögen, die Fähigkeit, nicht gleich aufzugeben. Wenn alles immer glatt läuft, ist es doch zu einfach und zu langweilig, diese Erfahrungen machen uns aus. Das sind ja auch alles nur Phasen, Momente, aus denen man einen Weg heraus finden muss.

JG: Unsere Schlussfrage: Was war in deinem Leben ein Geschenk, eine Strafe, ein Test?

JP: Geschenk und Test: meine Kinder. Das ist ein Geschenk, dass ich nicht als selbstverständlich ansehe, und eine Aufgabe, die eigentlich über alle anderen hinausgeht.

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